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User-Centered Design und Design Thinking, was sind die Unterschiede?

UCD & Design Thinking

User-Centered Design (UCD) ist seit vielen Jahren ein integraler Bestandteil der Entwicklung von interaktiven Systemen. In neuerer Zeit gewinnt nun das Prozessmodell Design Thinking stetig an Popularität, welches UCD auf den ersten Blick ähnelt. Die Modelle werden häufig auf der Methodenebene verglichen, doch was sind die Unterschiede? Betrachten wir den Prozess bei den Modellen beinhalten zwar beide eine Analysephase (Verstehen) und eine Synthesephase (etwas Neues kreieren). Doch die Anteile sind nicht gleichmässig verteilt. Während sich UCD vorwiegend auf die Analysephase konzentriert, ist beim Design Thinking das «Kreieren» stärker ausgeprägt, was teilweise auch mit dem Ursprung der Modelle erklärt werden kann.

Foto by UX Indonesia on Unsplash

Ursprung von UCD und Design Thinking

Wie bereits der Name erahnen lässt, stehen bei User-Centered Design der Benutzer und seine Bedürfnisse im Zentrum. Die Benutzer werden während des gesamten Entwicklungsprozesses von interaktiven Systemen iterativ miteinbezogen, um die Gebrauchstauglichkeit zu verbessern. Geprägt wurde der Begriff von Norman und Drapper (1) in ihrem Buch: User Centered System Design, welches Themen der Mensch-Computer-Interaktion umfassend beschreibt. Gould und Lewis (2, 3) nennen drei Designprinzipien, die für den heutigen UCD-Prozess wichtig sind:

  • Früher Fokus auf Benutzer und Aufgaben (Verständnis)

  • Empirische Messung (Benutzertests) und

  • Iteratives Design (so oft als nötig wiederholen).

Aus Bereichen wie Ergonomie, Computerwissenschaften oder künstliche Intelligenz hervorgegangen (4) ist UCD heute als ISO-Norm fest verankert. Teilweise wird auch von Human-Centered Design (HCD) gesprochen, welches noch deutlicher die Wechselwirkung zwischen System und Benutzer betont, insbesondere, welche Auswirkungen das System auf die Fähig- und Fertigkeiten bzw. Einstellungen der Benutzer hat.

Beim Design Thinking sind das Problemlösen und die Innovation insgesamt die treibende Kraft, d.h. der Prozess, wie Probleme gelöst bzw. Innovation erreicht werden kann. Erstmal verwendet wurde der Begriff von Rowe (5), ein Architekt und Stadtplaner, der die komplexen Entscheidungsprozesse seines Fachbereichs zu ergründen versuchte. 1991 wurde der Begriff erstmals explizit am Design Thinking-Symposium verwendet (6). Später entwickelte David Kelly bei IDEO, eine Agentur für Design und Innovationsberatung, das Prozessmodell für die wirtschaftliche Innovation weiter. David Kelly ist heute Leiter der d.school in Stanford, die neben der HPI School of Design Thinking in Potsdam eine Pionierrolle bei der Entfaltung und Verbreitung von Design Thinking einnimmt (7).

User-Centered Design wie auch Design Thinking beinhalten beide den Begriff Design. Dieser hat jedoch beim UCD eine eher untergeordnete, beim Design Thinking eine eher übergeordnete Rolle.

Zum Design (Thinking)

Der Begriff Design wird in diesem Text nicht, wie im deutschsprachigen Raum häufig üblich, auf den eher künstlerischen oder ästhetischen Inhalt bezogen (bspw. Grafikdesign), sondern auf das Entwerfen oder Konstruieren (8). Design Thinking kann übersetzt werden als «erfinderisches Denken», das Fertigkeiten professioneller Designer sowie Erfindergeist gleichermassen adressiert (9). Mit Design Thinking wird die Welt mit den Augen eines Designers betrachtet (10). Was ist aber nun am Vorgehen von Designern so speziell? Oft werden zwischen Wissenschaft und Design Gegensätze angenommen wie Theorie vs. Praxis oder Denken vs. Handeln (11). Oder Design Thinking wird klar abgegrenzt von Scientific Thinking (analytisch, reduktionistisch, Ziel ist, zu erklären), Engineering Thinking (Ziel ist effiziente Funktionalität) und Artistic Thinking (Ziel ist Individualität und das Selbst des Künstlers) (12, 13). Das Vorgehen beim Entwerfen lässt sich grundsätzlich unterscheiden in zwei Arten von Denken: Rückwärtsgerichtet und vorwärtsgerichtet, wobei Designer v.a. vorwärtsgerichtet sind (14). D.h. nicht zu stark das Alte optimieren, sondern ein neue Lösung für ein bestehendes Problem zu finden. Wie viele Anteile neu sind, variiert dabei natürlich stark. Die Essenz des Designs ist die Synthese, und ist damit von der naturwissenschaftlichen Analyse abzugrenzen. Die Synthese ist die Verbindung zu etwas Neuem, also Innovation (15).

Zur Innovation

Die Innovation ist der Kern des evolutionären marktwirtschaftlichen Systems und wird zumeist als technologisch-ökonomischer Motor verstanden (16, 17). Es ist die Zerstörung von alten Strukturen, indem Produktionsfaktoren immer wieder neu geordnet werden. Dabei begrüssen wir zwar das Neue, fürchten aber zugleich die ungewissen Folgen, die wir nur schwer kontrollieren bzw. antizipieren können (18). Speziell radikale Innovation, die technologiegetrieben ist, kann grosse Auswirkung haben. Während inkrementelle Innovation eine iterative Veränderung mit kleineren Auswirkungen darstellt (19), wie beim User-Centered Design üblich. Dabei ist eine radikale Innovation nicht zwingend an den Entwurf eines neuen Produktes gebunden. Es kann auch die Veränderung der Bedeutung eines Produktes beinhalten, mit welcher mitunter ein soziokultureller Wandel in der Gesellschaft geschaffen wird. Wie zum Beispiel die Swatch Uhr, die sich als erschwingliches Modeaccessoire positionieren konnte (neue Bedeutung, früher galten Schweizer Uhren ausschliesslich als Luxusobjekte) (20). Für eine Veränderung der Bedeutung ist insbesondere ein vorwärtsgerichtetes Vorgehen zielführend. Neue Ideen entstehen nur begrenzt aus der Analyse des Alten. Denn bestehende Strukturen müssen neu geordnet werden, was mit Design Thinking angestrebt wird.

Zum Problemlösen

Bei radikalen Innovationen bestehen zu Beginn meist komplexe Probleme (Wicked Problems), die nur schwer benannt, definiert oder begründet werden können (21). Im Gegensatz dazu besteht bei klar strukturierten Problemen eine grobe Problembeschreibung in einem gegebenen Problemraum (Ziel ist umrissen, Lösungswege sind bekannt). Der erste Schritt beim Problemlösen ist der Verstehensprozess, indem zumindest der IST- und der SOLL-Zustand definiert werden sollen und dann die nötigen Zustände, um vom IST- zum SOLL-Zustand zu gelangen (22).

Norman und Veganti (2014) sehen bei der Problemlösestrategie grosse Unterschiede zwischen Human-Centered Design (HCD) und Design-Driven Innovation. Bei HCD nähert sich der Problemlöser in kleinen Schritten (inkrementell) einem SOLL-Zustand an und konzentriert sich dabei hauptsächlich auf die nächsten Schritte (Problemlösestrategie Hill Climbing). Dadurch wird jedoch die Umgebung zu wenig beachtet und nicht bemerkt, ob noch bessere Wege bestehen (bspw. die Bedeutung ändern) (23). Genau dies zu bemerken, ist ein wichtiger Bestandteil der Designer-Tätigkeit (24). Es geht beim Design Thinking darum, den Problemraum mittels Framing und Reframing zu verlassen. Frames sind eine Art Deutungsrahmen (siehe auch Schema oder mentale Modelle), anhand deren die Welt verstanden wird. Hypothesen im Problemraum werden also nicht systematisch gemäss einer Theorie überprüft (Deduktion) oder erst eine Theorie aufgestellt (Induktion), wie in der Wissenschaft üblich. Es bestehen eher eine Vielzahl von Hypothesen, die nicht abschliessend verifiziert oder falsifiziert werden können. In solchen Fällen kommt dann das Reframing bzw. das «Neuausdenken» (25) zum Zuge, eine Fertigkeit, worin speziell Designer gut seien (26).

Zu den Risiken der beiden Prozess-Modelle

In der heutigen Zeit wird oft von komplexen Problemen gesprochen, die sich nicht analytisch logisch begründen lassen und eine «kreativere» Art der Synthese benötigen. Eine streng analytisch, reduktionistische Vorgehensweise, wie bei User-Centered Design eher üblich, kann dazu führen, dass Probleme nicht hinreichend breit betrachtet werden. Insbesondere, wenn nicht direkt fassbare bzw. begründbare Anteile vorhanden sind. Auch besteht die Gefahr, dass Forschende, wenn sie sich zu stark mit dem «Analysegegenstand» identifizieren, nicht mehr frei für neue Ideen sind (27). So wird ausschliesslich auf Lösungen fokussiert, welche die aktuelle Bedeutung von Objekten oder Systemen unterstützen, eine radikale Innovation ist nicht möglich.

Beim Design Thinking soll das Neue kontinuierlich sein und gegenüber dem Alten bevorzugt werden (28). Unter dieser Prämisse wird bereits etwas Neues angestrebt, bevor das Alte genügend untersucht wurde. Eine Folge kann sein, dass Designer im Verstehensprozess nicht mehr genau hinhören oder beobachten und sie innerlich bereits etwas Neues kreieren. Neues muss aber nicht immer besser sein. Menschen orientieren sich an ihren Erfahrungen und an bekannten Mustern, dies sollte miteinbezogen werden. Um Nutzerbedürfnisse wirklich zu verstehen, ist eine analytische Vorgehensweise nötig, ansonsten laufen Designer Gefahr, falsche Schlussfolgerungen abzuleiten, was ebenfalls in eine Sackgasse führen kann. Es braucht also sowohl die Analyse als Verstehensprozess als auch die Synthese, welche in einen Handlungsprozess mündet.

Fazit

Design Thinking konzentriert sich eher auf die Entwicklung von etwas Neuem und User-Centered Design (UCD) möchte eine bedürfnisgeleitete Entwicklung erreichen, welche bei der Optimierung von bestehenden Strukturen ansetzt. Dies führt natürlich dazu, dass mit UCD nur schwer radikale Innovationen erreicht werden können, die sofortige Benutzbarkeit des Produktes steht im Mittelpunkt. Design Thinking hingegen fördert die Innovation und nimmt in Kauf, dass eventuell zu stark erneuert wird, was den Benutzern dann Schwierigkeiten bereitet.

Dies bedeutet aber nicht automatisch, dass je nach Ziel das eine oder andere Prozessmodell geeigneter ist. Wird bei UCD das Problemlösen unabhängig von einem spezifischen Produkt betrachtet, werden die Bedürfnisse und Umstände offener analysiert (29), was letztlich ebenfalls zu einer radikalen Innovation führen kann. Die dahinterliegende Frage ist daher weniger welches Prozessmodel, sondern eher, was das Ziel der Entwicklung ist. Primär etwas Neues zu kreieren oder etwas zu kreieren, was momentane und/oder zukünftige Bedürfnisse befriedigt? Stammen die Bedürfnisse von Benutzern oder von Unternehmen resp. müssen Benutzer ihre Bedürfnisse anpassen, da aktuelle technologische, ökonomische, ökologische oder auch soziale Gegebenheiten dies verlangen? Das Entwickeln von etwas Neuem heisst immer auch für die Benutzer, etwas Neues zu Lernen.  Je mehr sich das Neue von bekannten Strukturen und Mustern unterscheidet, desto grösser ist der Lernprozess.

Autor: Adrian Lauper


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