Was bringt ein User Testing? Fallstudie einer Secondhandplattform
Was bringt ein Nutzertest? Wie läuft er ab? Und welche konkreten Ergebnisse liefert er? In diesem Blogartikel beantworten wir diese Fragen praxisnah anhand eines echten Projekts: dem Nutzertest der Secondhand-Plattform des Start-ups Loopia. Durchgeführt wurde das Testing von soultank AG im Rahmen eines Pro-Bono-Projekts, unterstützt von TestingTime.
Ausgangslage
Warum Nutzertests durchführen?
Die Gründe für einen Nutzertest sind vielfältig. So lohnt sich ein Test oft schon in einer frühen Phase der Produktentwicklung, um zentrale Annahmen durch einen Konzept-Test zu validieren. Ebenso sinnvoll ist es, die Nutzerfreundlichkeit vor der eigentlichen Umsetzung mit Hilfe eines High-Fidelity-Prototyps zu überprüfen. Und auch bestehende Produkte können von einem Nutzertest profitieren – etwa, um Schwachstellen aufzudecken und gezielt Potenziale für Optimierungen und Weiterentwicklungen zu identifizieren.
Fallstudie
Das Start-up Loopia bietet eine Secondhand-Plattform als Whitelabel-Lösung für Händler und Marken an, die sich in bestehende Websites integrieren lässt. Kunden können dort gebrauchte Produkte kaufen und verkaufen.
Loopia verfolgt das Ziel, die Verkaufszahlen auf der Plattform zu steigern. Das Team vermutet, dass es noch Optimierungspotenzial bei der Nutzerfreundlichkeit und beim allgemeinen Verständnis der Plattform gibt. Gleichzeitig möchte Loopia die Bedürfnisse und das Verhalten der Nutzenden besser verstehen, um konkrete Ansätze für die Weiterentwicklung zu gewinnen.
Screenshot der Loopia Outdoor-Secondhandplattform (Startseite)
Vorgehen
Wie lange dauert ein Nutzertesting?
Für einen Nutzertest mit sechs Teilnehmenden (mit dieser Anzahl lassen sich erfahrungsgemäss rund 80 % der Usability-Probleme identifizieren) rechnen wir mit einem Gesamtaufwand von etwa sechs Arbeitstagen. Die Auswertung liegen in der Regel rund drei Wochen nach dem Kick-off vor.
Wie läuft ein Nutzertest ab?
Die Vorbereitung und Durchführung eines Nutzertests erfolgt in der Regel in fünf Schritten:
1. Kick-Off
2. Rekrutierung Testpersonen
3. Leitfaden erstellen
4. Durchführung
5. Auswertung & Ergebnis-Präsentation
Im Folgenden zeigen wir, wie die einzelnen Phasen im konkreten Fall des Nutzertests für Loopia umgesetzt wurden.
1. Kick-Off
Der Kick-Off Workshop dient dazu, die Ausgangslage und Ziele unserer Kunden zu verstehen, um die Nutzerforschung darauf abstimmen zu können.
Fallstudie
Beim Kick-off mit Loopia wurden folgende Themen besprochen: Projektziele, Testobjekt, Nutzendengruppen, User Journey, Forschungsfragen und Annahmen, Rekrutierungskriterien und der Zeitplan.
Da Loopia Secondhandplattformen als Whitelabel-Lösung für verschiedene Kunden anbietet, wurde diskutiert welche Plattforminstanz als Testobjekt verwendet werden soll. Ausgewählt wurde eine Secondhandplattform für Outdoor-Produkte.
Das Kick-Off mit Loopia fand Online statt und dauerte etwa zwei Stunden. Zur Vorbereitung und Dokumentation wurde ein digitales Whiteboard (Miro) verwendet.
Beim Kick-Off erarbeitet: Proto User Journey zur Priorisierung der Forschungsfragen
2. Rekrutierung Testpersonen
Auf Basis der im Kick-off gemeinsam definierten Zielgruppe rekrutieren wir anschliessend die passenden Testpersonen, meist über unseren Rekrutierungs-Partner TestingTime. Ist die gewünschte Zielgruppe schwer erreichbar, greifen wir zusätzlich auf die Netzwerke unserer Kunden zurück oder starten gezielte Aufrufe, z. B. über LinkedIn.
Fallstudie
Für den Nutzertest der Loopia Outdoor-Plattform wurden die sechs Testpersonen über TestingTime rekrutiert. Die Auswahlkriterien: Alle Teilnehmenden sollten im vergangenen Jahr über eine Secondhand-Plattform entweder etwas gekauft oder verkauft haben und ein generelles Interesse an Outdoor-Aktivitäten mitbringen. Zudem wurde auf eine ausgewogene Mischung hinsichtlich Alter und Geschlecht geachtet.
Rekrutierungskriterien, wie im Kick-Off Workshop definiert
3. Leitfaden erstellen
Basierend auf den priorisierten Themen, Hypothesen und Forschungsfragen entwickeln wir einen Testleitfaden. Dieser wird iterativ optimiert, durch das Feedback unserer Kunden sowie ein internes Pre-Testing, und anschliessend finalisiert.
Fallstudie
Im Fall von Loopia standen zwei zentrale Anwendungsfälle im Fokus: der Kauf und der Verkauf von Secondhand-Outdoor-Equipment. Die Testpersonen sollten beide Use Cases vollständig durchlaufen, wobei die Reihenfolge zwischen den einzelnen Tests variiert wurde. In einem Initial-Interview sollen Fragen zu den bisherigen Verhaltensweisen und Einstellungen zum Thema Secondhand geklärt werden.
Ausschnitt aus dem Leitfaden
4. Durchführung
Die Nutzertests digitaler Produkte führen wir in der Regel remote per Videocall durch. Je nach Zielgruppe und Produkt kann es jedoch sinnvoll sein, die Tests auch vor Ort durchzuführen.
Während der Tests begleitet die Moderatorin die Teilnehmenden entlang des Leitfadens. Beim Bearbeiten der Aufgaben werden die Testpersonen gebeten den Bildschirm zu teilen und laut zu denken, um ihre Gedanken transparent zu machen. Unsere Kunden haben die Möglichkeit, die Sessions live per Videocall zu verfolgen. Zusätzlich werden die Tests zur späteren Auswertung aufgezeichnet, und die Moderatorin dokumentiert parallel wichtige Aussagen und Verhaltensweisen.
Fallstudie
Für die Onlineplattform von Loopia war ein Remote-Testing die passende Wahl. Die Testpersonen nahmen per Computer oder Smartphone an den Sessions teil. Als Testobjekt diente eine speziell vorbereitete Demo-Instanz der Loopia-Plattform, die mit realitätsnahen Secondhand-Produkten befüllt wurde.
Screenshot aus einem User Testing
5. Auswertung & Präsentation
Welche Ergebnisse liefert ein Nutzertest?
In der Regel bereiten wir die gewonnenen Erkenntnisse in einer Präsentation sowie – je nach Bedarf – in weiteren Dokumenten auf. Diese enthalten konkrete Empfehlungen zur Optimierung. Die Resultate stellen wir in einem gemeinsamen Termin vor und schaffen Raum für Rückfragen und Diskussionen.
Fallstudie
Für Loopia haben wir folgende Ergebnisse und Materialien ausgearbeitet:
a) Eine kompakte Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse
b) Eine Befundliste mit Kategorisierung und ersten Lösungsideen
c) Konkrete Lösungsvorschläge in Form von Wireframes
Werfen wir nun einen Blick auf die einzelnen Ergebnisse.
a) Zusammenfassung wichtigste Erkenntnisse
Die wichtigsten Erkenntnisse sind in einer Präsentation zusammengefasst. Die Präsentation beinhaltet ein Management Summary, Statistiken zu den Befund-Kategorien, sowie Zusammenfassungen der Initial- und Abschlussinterviews.
Management Summary des Testings für Loopia
b) Befundliste
In der Befundliste sind alle 49 Befunde aufgelistet und kategorisiert. Die Excelliste enthält folgende Spalten und Kategorisierungen:
Titel und Beschreibung des Befundes
Zuordnung zum Use Case und Schritt im Prozess
Schweregrad (Systemfehler, Grosse Schwierigkeit, Mittlere Herausforderung, Kleiner Stolperstein, Anmerkung / Fragestellung, Rein visuell / Geschmacksache)
Heuristiken (nach ISO 9241-210)
Interaktionsprinzipien (nach ISO-Norm 9241-110)
Zuordnung zu den Testpersonen
Ideen und Ansätze zur Verbesserung
Ausschnitt Befundliste vom Loopia Testing
c) Lösungsvorschläge
Erste Lösungsansätze haben wir direkt in der Befundliste beschrieben. Für die grössten Stolpersteine haben wir zusätzlich Lösungsideen in Form von Wireframes in einem Miroboard skizziert.
Beispiel: Ausschnitt eines Lösungsvorschlags (Wireframe) um den Verkäufer zum Hochladen mehr Fotos zu bewegen
Fazit
Mit einem Arbeitsaufwand von nur sechs Tagen und sechs Testpersonen konnte Loopia über 40 wertvolle Erkenntnisse gewinnen – ein wichtiger Beitrag zur Optimierung und Weiterentwicklung der Plattform. Innerhalb von zwei Monaten implementierte das Loopia-Team einfache Verbesserungen basierend auf 21 der Befunde und Empfehlungen. Weitere 13 Massnahmen stehen mittelfristig auf der Agenda.
«Wir sind sehr dankbar für die wertvollen Erkenntnisse, die wir durch das Testing mit soultank gewinnen konnten. Die detaillierte Befundliste mit der Einordnung nach Schweregrad und die konkreten Lösungsvorschläge waren für uns besonders hilfreich. Es gab einige Quick Wins – z.B. Anpassungen an den Texten und technische Bugs – die wir innerhalb von wenigen Wochen umsetzen konnten. Jetzt nehmen wir die mittelfristigen Anpassungen in Angriff.»
- Cristiana Grossenbacher, Co-founder, Loopia