Die 7 Interaktionsprinzipien der ISO Norm 9241-110
Man merkt es kaum, aber täglich sind wir umgeben von Normen und Standards. Sie bestimmen unseren Alltag und sorgen dafür, dass alles reibungslos verläuft. Sei es beim Glühbirnen-Austausch oder beim Ausdrucken auf Papier, selbst die Krümmung einer Gurke wurde im Jahr 1988 genormt! Über Sinn und Unsinn von einzelnen Normen lässt sich streiten. Doch Normen gibt es überall und am 14. Oktober feiert die Welt sogar den Weltnormentag.
Wir stellen vor: Die ISO Norm 9241
Die International Standard Organization (ISO) legt die Richtlinien der Gebrauchstauglichkeit und Ergonomie interaktiver Systeme fest. Die Norm besteht seit 1996 und wurde seither stetig ausgebaut und den neuen Gegebenheiten angepasst.
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1 Vermeidung gesundheitlicher Schäden beim Arbeiten mit interaktiven Systemen
2 Vereinfachung der Aufgabenerfüllung
3 Bewertung der Benutzungsfreundlichkeit
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Grundsätzlich lässt sich die ISO Reihe in 3 Hauptbereiche sowie individuelle Unterbereiche kategorisieren:
1 Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten
- Arbeitsplatzgestaltung
- Arbeitsumgebung
2 Ergonomie der Mensch-System-Interaktion
- Gebrauchstauglichkeit
- Dialogführung
- Barrierefreiheit
- Interaktionsprinzipien
- Informationsdarstellung
- Individualisierung
- Sprachdialogsysteme
- Elektronische optische Anzeigen
- Verringerung epileptischer Anfälle
- physikalische Eingabegeräte
- Taktile und haptische Interaktion
- Gestensteuerung
3 Robotische, intelligente und autonome Systeme -
Die unterschiedlichen Teile der ISO Norm 9241 haben verschiedene Ausprägungen mit unterschiedlichen Bandbreiten.
Es gibt Teile, die sehr generalistisch sind, während andere spezifische Verwendungszwecke vorweisen:
- Beschreibungen von Terminologien
- Empfehlungen für Verfahren resp. Vorgehensweise
- Modelle für Bewertungen
- Leitfäden
- Empfehlungen für Arbeitsumgebungen und Gestaltungsformen
Worum geht es im Teil 110 der ISO Norm 9241?
Die Prinzipien der ISO Norm 9241-110 formulieren, was ein System erfüllen muss, damit es für uns Menschen effektiv und effizient benutzt werden kann. So soll sichergestellt werden, dass Systeme auch tatsächlich unterstützend sind und unsere Welt vereinfachen.
Im Jahr 2020 wurde der Titel der ISO Norm einer Modernisierung unterzogen. Die «Grundsätze der Dialoggestaltung» wurden umbenannt in «Interaktionsprinzipien». Inhaltlich hat sich jedoch nicht viel verändert. Noch immer geht es darum, Gestaltungsrichtlinien für Benutzungsschnittstellen durchzusetzen.
Übersicht der 7 Interaktionsprinzipien
Kommen wir nun zum Kern der ISO-Norm. Hier erhältst du einen Überblick über die sieben Interaktionsprinzipien.
Du möchtest gerne mehr zu den einzelnen Interaktionsprinzipien erfahren? Mit Klick auf das entsprechend Prinzip gelangst du zur Beschreibung und einem passenden Beispiel ganz unten in diesem Blogpost. Oder klicke hier, um zu diesem Abschnitt zu gelangen: Zu den Interaktionsprinzipien
Merkblatt
Gerne stellen wir dir unser Merkblatt für die 7 Interaktionsprinzipien zur Verfügung. Du darfst es gerne ausdrucken, aufhängen, speichern, teilen, …
An wen richtet sich die ISO Norm 9241-110?
Die folgenden Berufsgruppen werden in der ISO Norm explizit angesprochen:
Anforderungsmanager:innen
Anforderungsanalysten:innen
User Interface Designer:innen
Entwickler:innen
Usability- und User Experience-Gutachter:innen
Einkäufer:innen von Dienstleistungen und Lösungen interaktiver Systeme
Doch auch alle anderen Berufsgruppen könnten von der ISO Norm profitieren. Wie z.B. Architekt:innen, die dafür sorgen, dass die Wohnräume für das tägliche Leben ideal geplant sind. Oder HR-Mitarbeitende, die Formulare und Rekrutierungsprozesse gestalten. Es gibt wohl kaum ein Einsatzgebiet, welches nicht in irgend einer Form mit diesen Prinzipien in Berührung kämen. Bewusst oder unbewusst.
Wie können die Interaktionsprinzipien im Alltag eingesetzt werden?
Die Interaktionsprinzipien helfen dir, dein Produkt laufend zu hinterfragen und es gezielt weiter zu entwickeln. Hier ein paar Hinweise zum Vorgehen:
Bevor du loslegst, solltest du wissen, an wen sich deine Lösung richtet und welche Aufgaben erfüllt werden sollen. Du solltest ebenfalls schon wissen, welche Nutzungskontexte berücksichtigt werden.
Höchst wahrscheinlich sind nicht alle Prinzipien für deine Lösung gleich relevant. Entscheide, welche Prinzipien die höchste Priorität geniessen.
Nun kannst du den Workflow deiner Kunden oder Nutzenden mit deinem Produkt durchspielen. Nutze unser Merkblatt, um dir an jedem Punkt zu überlegen, ob die erforderlichen Interaktionsprinzipien erfüllt sind.
Uns ist klar: Das kann ganz schön knifflig werden. Vor allem auch deswegen, weil sich mit der Zeit eine gewisse Betriebsblindheit einschleicht. Dadurch fällt es schwer, die Aussensicht mit allen Aspekten zu berücksichtigen. Das ist völlig normal.
Deswegen empfehlen wir dir, von Zeit zu Zeit echte (potenzielle) Nutzende in deinen Gestaltungsprozess mit einzubeziehen. Das ist Thema des Human Centered Design Prozesses, der im Teil 210 der ISO Norm 9241 detailliert geregelt wird. Mehr dazu zu einem anderen Zeitpunkt.
Und selbstverständlich gibt es auch die Möglichkeit, mit uns zusammen zu arbeiten 😊 Wir unterstützen dich gerne.
Bist du interessiert?
Dann melde dich bei uns, damit wir eure Möglichkeiten unverbindlich besprechen können.
Du möchtest es gerne genauer wissen? Klasse, dann gibt’s hier noch weitere Details und Beispiele für dich.
Die 7 Interaktionsprinzipien mit Beispielen
1 Aufgabenangemessenheit
Ein System oder Produkt ist aufgabenangemessen, wenn es die Nutzenden dabei unterstützt, ihre Aufgaben zu erledigen. Der Weg dahin soll einfach und direkt erfolgen.
Unterstützte Aufgaben sind bekannt
Aufgaben können rasch erledigt werden
Auswahlmöglichkeiten werden geboten
Beispiel
Das Restaurant Neela ist zweifellos ein sehr feines Lokal. In diesem Beispiel möchten wir aber ihre Reservationsmöglichkeiten beleuchten.
Klickt man auf den Menupunkt «Reservieren», bietet das Restaurant als einzige Option die telefonische Reservation an. Um dann anzurufen, muss man aber die ganze Telefonnummer eingeben (oder sich mittels copy & paste Abhilfe verschaffen) und kann nicht mittels «Draufklicken» direkt anrufen.
Wenn man jetzt auch noch ausserhalb der Öffnungszeiten anruft, läutet das Telefon ins Leere. Sofern also nicht jemand zurück ruft, muss man sich die Öffnungszeiten merken und nochmals anrufen – immerhin hilft die Wahlwiederholung dann, den Aufwand etwas zu minieren.
2 Selbstbeschreibungsfähigkeit
Das System sollte Benutzer:innen jederzeit klar und verständlich aufzeigen, wo sie sich befinden, was sie auf welche Weise tun können und welche Funktionen verfügbar sind.
Alle wichtigen Informationen sind vorhanden
Informationen sind verständlich
Systemstatus ist jederzeit erkennbar
Beispiel
Die Anleitung für die Aktivierung der SwissID Sign erscheint auf den ersten Blick verständlich und übersichtlich. Wenn man jedoch bereits ein SwissID-Konto angelegt und eine Identitätsprüfung durchgeführt hatte, muss man diese für die Freischaltung von SwissID Sign unter Umständen erneuern. Das ist jedoch nirgends so ausgewiesen. Will man also ein erstes Dokument unterzeichnen, landet man stets bei dieser Meldung:
Klickt man übrigens auf den Link, landet man wieder bei der Anleitung im ersten Bild.
Aber auch hinsichtlich der Änderung des Systemstatus hinkt die Lösung aktuell noch. Es wird angegeben, dass es nach der Online-Identitätsprüfung ca. 2 Arbeitstage dauern kann, bis die Funktion freigeschaltet wird. Doch eine entsprechende Information wird weder per E-Mail gesandt noch im Dashboard von SwissID angezeigt. Es bleibt also nur, es im Anschluss auf gut Glück zu versuchen.
3 Erwartungskonformität
Das System sollte den Erwartungen der Nutzenden entsprechen. Eine, auf die Nutzenden angepasste Informationsdarstellung des Systems, beinhaltet anerkannte und einheitliche Muster und Konventionen.
System verhält sich erwartungsgemäss
Elemente sind konsistent angewandt
Veränderungen im Status sind nachvollziehbar
Beispiel:
In diesem Formular von cyon.ch wurden diejenigen Felder mit einem Stern versehen, die nicht zwingend ausgefüllt werden müssen. Das widerspricht den Erfahrungen mit anderen Systemen und führt bei Nutzenden zu kurzzeitiger Verwirrung.
4 Erlernbarkeit
Das System sollte einfach und intuitiv zu bedienen sein und die Nutzenden dabei unterstützen, sich schnell einzuarbeiten. Im Idealfall werden Benutzende in der Einarbeit in das System direkt unterstützt.
Erlernbarkeit der Bedienfunktionen
Möglichkeit, Bedienfunktionen ausprobieren zu können
Unterstützung bei der Anwendung der Bedienfunktionen
Beispiel:
Gerade in Spielen, wie hier bei «GeoGuessr» werden die Intros und Funktionen gut aufgezeigt. Die Spielenden werden schrittweise an die Bedienung gewöhnt, bis sie das Spiel und die Interaktionsweise vollständig verstanden haben.
5 Steuerbarkeit
Die Nutzenden sollten jederzeit die volle Kontrolle über das System haben. Das bedeutet, dass sie selbst entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit sie vorgehen und welchen Ablauf sie wählen. Ein wichtiger Baustein dafür ist, dass der Aufbau des Systems sehr einfach erfasst und verstanden werden kann.
Prozess kann jederzeit unterbrochen werden
Das System unterstützt flexible Arbeitsweisen
Das System erlaubt ggf. individuelle Einstellungen
Beispiel:
Wenn man den Preisrechner von TestingTime benutzt, sieht man stets, wo im Prozess man steht. Es ist jederzeit möglich, in irgend einen der nachfolgenden Prozessschritte zu klicken, wenn man das möchte. Der Aufbau des Systems ist jederzeit ersichtlich und man kann abschätzen, wie lange das Ausfüllen dauert. Zudem können auch sehr wenige, gezielte Eingaben gemacht werden, um einen Preis zu ermitteln.
6 Robustheit gegen Nutzungsfehler
Das System sollte unter verschiedenen Bedingungen und Umgebungen zuverlässig funktionieren. Es sollte in der Lage sein, Fehler zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, um die Auswirkungen für die Nutzenden zu minimieren.
Nutzungsfehler werden vermieden oder toleriert
Nutzungsfehler können abgefangen werden
Nutzungsfehler können behoben werden
Wer kennt das nicht? Das System zeigt sofort an, dass keine Sonderzeichen für die Bezeichnung der Datei verwendet werden dürfen und lässt es nicht zu. So kann der Fehler gar nicht erst gemacht werden. Zusätzlich wird anhand eines erklärenden Texts angegeben, was konkret falsch gemacht wurde. So lässt sich die korrekte Anwendung ohne Umschweife durchführen.
7 Benutzer:innen-Bindung
Die Nutzung des Systems sollte möglichst einladend und motivierend sein. Vertrauen kann aufgebaut werden und innerhalb des Systems sind Rückmeldungen an die Produktverantwortlichen möglich.
Motivation für die Nutzung
Vertrauen wird aufgebaut
Feedbacks durch Nutzende innerhalb des Systems werden ermöglicht
Beispiel:
Auf SportXx.ch kann man sich die Produkte während bestimmter Zeiten direkt per Video zeigen lassen. Dies bietet eine neue Art der Interaktion - direkt verbunden mit dem Shop vor Ort. Das führt zu Vertrauen und man bietet den Nutzenden Sicherheit.
Autorinnen
Adriana Krasnici
Experience Consultant
Nadja Schmid
Geschäftsleiterin und Experience Consultant
Artikel wurde publiziert am 31.3.2023